Geschichte des 1. Mai

Die soziale Lage der Arbeiterschaft im 18. und 19. Jahrhundert war durch extreme materielle Not, überlange Arbeitszeit, unhygienische Wohnbedingungen und häufige Krankheit gekennzeichnet.

Als Alternative zu diesen elenden Lebensbedingungen der Arbeiter und ihrer Familien stellten die sich formierenden Arbeiterparteien Parolen und Programme auf, in deren Mittelpunkt umfassender Arbeitsschutz stand.


Karl Marx

Karl Marx
(1818 bis 1883)
deutscher Philosoph und Nationalökonom

 

Diese Arbeiterparteien gehen im Prinzip auf Karl Marx zurück.

1848 verfassten Marx und sein engster Vertrauter Friedrich Engels die Programmschrift "Das Kommunistische Manifest", das den Weg und das Ziel der ArbeiterInnenklasse verkündet (Errichtung der politischen Macht der Arbeiterklasse, Aufbau einer neuen Gesellschaft).

Marx' wichtigstes Werk "Das Kapital" blieb unvollendet.

Er war maßgebend an der Gestaltung der Internationalen Arbeiterassoziation (Internationale) beteiligt, die jedoch aufgrund innerer Differenzen schrittweise zerfiel. Erst die 2. Internationale (1889) hatte länger Bestand.

Die Ideen des Marxismus konnten in der Folgezeit einen großen Teil der Welt erobern.

Der Sozialismus, die Sozialdemokratie und der Kommunismus treten heute in verschiedenen Varianten auf, trotzdem steht im Hintergrund mehr oder weniger immer wieder Karl Marx.

Von den Arbeiterparteien wurde Karl Marx als Autorität und Wegbereiter angesehen. Leider war es Marx nicht mehr vergönnt, die machtvollen internationalen Kundgebungen und Demonstrationen der ArbeiterInnen am 1. Mai mitzuerleben.


Beim Internationalen Arbeiterkongress in Paris 1889 fiel die Entscheidung für eine internationale Kundgebung am 1. Mai 1890. Ursprünglich sollte nur eine solche internationale Demonstration stattfinden. An eine Institutionalisierung war zu diesem Zeitpunkt noch nicht gedacht.

Der Beschluss des Pariser Sozialistenkongresses, seine Forderungen nach einem achtstündigen Arbeitstag und weiteren Arbeiterschutzmaßnahmen durch einheitliche Kundgebungen am 1. Mai zu bekräftigen, fand ein lebhaftes Echo. Zugleich begründete er die Tradition des internationalen Festtages der Arbeiterklasse als eines Tages, an dem das Proletariat über Ländergrenzen hinweg seine Stimme erhebt, um seinen Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben einzufordern.

Dieser Kampf- und Feiertag der internationalen Arbeiterbewegung hinterließ vom ersten Male an, an dem er begangen wurde, einen nachhaltigen Eindruck. Der 1. Mai 1890 sah in den bedeutenden Industriezonen der Welt die Kolonnen der demonstrierenden Arbeiter auf Straßen und Plätzen.

Nach dem Erfolg des 1. Mai 1890 in Wien (Prater) konnten weder staatliche noch konservativ unternehmerische Kreise und Repressalien den schrittweisen Ausbau und die Festigung des 1. Mai als Arbeiterfeiertag in Österreich verhindern.

Der formelle Beschluss der Internationalen Arbeiterbewegung, den 1. Mai als alljährliche Demonstration der Solidarität zu wählen, erfolgte beim Brüsseler Kongress der 2. Internationale 1891.

Die Wiener Arbeiterschaft verstand diesen "Rebellensonntag" von Anfang an als Kampf- und Feiertag. Die Maifeiern mit ihren Ausflügen, Sport- und Tanzfesten brachten der Sozialdemokratie ganze Generationen und Schichten von zum Teil unpolitischen Menschen näher.

Andererseits waren Versammlungen und Aufmärsche mit konkreten politischen Inhalten erfüllt. Bis 1907 stand der Kampf für das allgemeine und gleiche Wahlrecht im Zentrum der Wahlfeiern. Daneben waren sozialpolitische Forderungen von Bedeutung. In den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wurden die Demonstrationen am 1. Mai zu eindrucksvollen Kundgebungen für den Frieden und für internationale Solidarität.

Der Weltkrieg und die nun betont nationale Haltung der Sozialdemokratie in den ersten Kriegsjahren unterbrach die Tradition der Maifeiern.


Mit dem Zerfall der alten monarchistischen Ordnung und dem Eintritt der Sozialdemokraten in die Regierung hatte sich die österreichische Arbeiterbewegung eine neue Stellung im Staat erkämpft. Dies drückte sich auch in dem Beschluss des Nationalrats 1919 aus, den 1. Mai zum Staatsfeiertag in Österreich zu erklären. Damit konnte sich die Maibewegung nun ganz legal entfalten.

Die sozialdemokratische Kulturstelle veranstaltete in den Theatern und großen Konzertsälen Wiens klassische und moderne Aufführungen. Die Mai-Umzüge waren dezentral in den Bezirken abgehalten worden.

Erst am 1. Mai 1921 zogen die Sozialdemokraten wieder gemeinsam durch Wien. Analog zur Vorkriegszeit bewegte sich der Demonstrationszug über die Ringstraße in den Prater. Im Jahr darauf fand die Maifeier erstmals mit einer Versammlung vor dem Rathaus, dem Herz des Roten Wien, statt, wobei sich der Rathausplatz allerdings als viel zu klein erwies.

Der Fackelzug der Arbeiterjugend wurde erstmals am Vorabend des 1. Mai 1926 abgehalten. Die Bezirkszüge trafen sich am Rathausplatz. Von dort ging es unter der zentralen Losung "Gegen die Lehrlingsfeindlichkeit der bürgerlichen Parteien" mit Fackeln zur Abschlusskundgebung am Karlsplatz.

Ab 1929 (und auch nach dem 2. Weltkrieg) marschierten die Mai-Demonstranten in zwei Zügen am Rathaus vorbei.

Daneben gab es auch zahlreiche Mai-Veranstaltungen in den Städten und Gemeinden der anderen Bundesländer. Diese Aufmärsche, Demonstrationen, Vorträge, Kultur- und Sportveranstaltungen und Fackelzüge erreichten aber natürlich nicht die Größe und Bedeutung der Wiener Veranstaltungen.

In der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre änderten sich auch die Parolen. Demonstrierte man bis zu diesem Zeitpunkt noch für die Verteidigung der sozialen Errungenschaften von 1918 bis 1920, so standen nun die Solidarität mit den Arbeitslosen und der Kampf für Arbeit und gegen den Faschismus im Vordergrund.


Die Zustimmung bedeutender Funktionäre der Sozialdemokratie zum 1. Weltkrieg und die 1918 gegründete Kommunistische Partei Österreichs hatten zu gravierend unterschiedlichen Vorstellungen geführt. So zeigte sich ein tiefer Riss, der sich durch die beiden Arbeiterparteien zog. Nur vereinzelt kam es zu gemeinsamen Aufrufen zum Ersten Mai. Meist marschierten die beiden Parteien getrennt, sichtbar auch im Nebeneinander sozialdemokratischer und kommunistischer Mai-Abzeichen.

Die KPÖ hielt in der 1. Republik ihre Maifeier vor der Votivkirche ab. Ausschlaggebend für diese Tradition war eine blutig niedergeschlagene Demonstration: Am 15. Juni 1919 ließ der sozialdemokratische Innenminister Eldersch durch seinen Polizeipräsidenten Schober auf eine kommunistische Demonstration in der Hörlgasse schießen, die sich zum Protest gegen die Verhaftung kommunistischer Funktionäre gebildet hatte. Siebzehn Tote waren zu beklagen.

Ähnlich die Situation auch in Deutschland am 1. Mai 1929. Der sozialdemokratische Polizeipräsident war für Straßenkämpfe verantwortlich, die 80 Mai-Demonstranten das Leben kosteten.

So verhinderte das tief verwurzelte Misstrauen zwischen beiden Strömungen der Arbeiterbewegung schließlich die dringend erforderliche antifaschistische Einheitsfront in Deutschland und Österreich.


1933 erfolgte durch Kanzler Dollfuß nach der Ausschaltung des Parlaments auch das Verbot der Arbeiterdemonstration am 1. Mai. Trotzdem konnte er "Mai-Spaziergänge" auf den Hauptstraßen Wiens vorbei an Stacheldrahtverhauen, Maschinengewehren und Haubitzen nicht verhindern. Viele Spaziergänger hatten "zufällig" rote Taschentücher mit, die sie nicht gerade versteckten.

Im Folgejahr versuchte das austrofaschistische Dollfuß-System nach dem Verbot der Arbeiterbewegung, den 1. Mai in den "Tag der Verfassung" zur Huldigung der Stände umzufunktionieren. Die Mehrzahl der Bevölkerung hielt sich allerdings von diesen Demonstrationen fern. Mancherorts wurden Schornsteine und Lichtmasten rot beflaggt, Blitzdemonstrationen in den Arbeiterbezirken und Kundgebungen im Wienerwald abgehalten. Tausende Flugblätter wurden von den Revolutionären Sozialisten und Kommunisten verbreitet.

Auch der Hitler-Faschismus hob den 1. Mai nicht auf, sondern verfälschte ihn zum "Tag der deutschen Arbeit".

Doch 1945, als im Westen Österreichs noch gekämpft wurde, kam es in den bereits befreiten Gebieten zu 1.-Mai-Demonstrationen. In Wien wurden Aufmärsche und Kundgebungen in den Bezirken organisiert, meistens unter Beteiligung der Kommunisten, manchmal auch mit Vertretern der ÖVP. Hunderttausende demonstrierten gegen Faschismus und Krieg.


Den 1. Mai 1946 feierte die Wiener SPÖ nach 14 Jahren erzwungener Unterbrechung wieder in traditioneller Weise: 200.000 Menschen marschierten am Rathaus vorbei. Der 1. Mai stand ganz im Zeichen der Forderungen nach Abzug der Besatzungsmächte und Freilassung der Kriegsgefangenen.

Zur Identität der Sozialistischen Partei Österreichs (SPÖ) nach 1945 zählte eine Distanzierung von den Vorgängen in Osteuropa. Der 1. Mai wurde zur Manifestation für den demokratischen Sozialismus und für die Einheit der Arbeiterschaft in der SPÖ.

Nach dem Staatsvertrag wurde der 1. Mai immer mehr zu einem grenzüberschreitenden Bekenntnis für Umwelt-, Friedens- und Abrüstungsfragen.

Nach den Wahlsiegen von 1970 und 1971 standen die Maifeiern im Zeichen der Unterstützung der Reformpolitik des sozialistischen Bundeskanzlers Dr. Bruno Kreisky. Als neue Fragen traten die Verpflichtung für internationale Solidarität auf, Hilfe für die Entwicklungsländer und Ausbau der Menschenrechte.

In den frühen Morgenstunden des 1. Mai 1981 wurde der sozialistische Stadtrat Heinz Nittel von Terroristen ermordet. Die Mai-Feier der SPÖ an diesem Tag stand ganz im Zeichen dieser Untat und entwickelte sich österreichweit zu einer Manifestation, sich nicht dem internationalen Terrorismus zu beugen.

In den Folgejahren dokumentierten die 1.-Mai-Veranstaltungen neben den innenpolitischen Fragen wie Arbeitsplatzsicherung und 35-Stunden-Woche immer stärker den Blick über die eigenen Grenzen. Es waren neue Werte, die an Bedeutung gewannen. Es ging um die Umwelt, um internationale Abrüstung, um die Beitragsleistung Österreichs zur Friedenssicherung und Hilfestellung für die Dritte Welt. In den letzten Jahren spielte immer mehr auch Österreichs Engagement in der Europäischen Union eine Rolle.

Seit der Mitte der achtziger Jahre ging das ursprüngliche Image der SPÖ als Arbeiterpartei verloren. Ein Abrücken von den traditionellen Werten zeigte sich u. a. auch in der Umbenennung in Sozialdemokratische Partei. Die SPÖ bezeichnet sich jetzt selbst  als "Partei der Mitte" und verliert gleichzeitig immer mehr an Einfluss und Wählerstimmen.


Ein anderes Bild zeigten die Mai-Feiern der KPÖ: Ab den späten Fünfzigerjahren war die KPÖ ohne Vertretung  im Parlament. Diese Partei orientierte sich in der Zeit des Kalten Krieges allzu sehr an der Politik der sowjetischen KP und verlor so immer mehr an Wählerstimmen. Jede Krise in einem kommunistischen Land (DDR, Ungarn, CSSR) führte auch zu einer Krise in der Partei und damit zu Austritten aus der KPÖ. Nach der "Wende" in Osteuropa suchte auch sie ein neues Image.

Die zentralen Maifeiern dieser Partei fanden und finden noch immer nach einem Zug über die Ringstraße vor dem Wiener Parlament statt. Die Parolen der Demonstrationen lauten auf Arbeit, Abrüstung, Neutralität, Frieden, Menschenrechte und gegen Rassismus.

Seit ein paar Jahren gibt es auch eigene Mai-Abzeichen der KP Steiermark.


Seit dem 1. Mai 1890 wurde manches erreicht, aber vieles droht wieder verloren zu gehen. Übermäßiger Reichtum türmt sich in immer weniger Händen auf, lässt Spannungen zwischen den Geschlechtern und Generationen entstehen, während Armut und Hunger weltweit zunehmen, soziale Bedrohungen, Nationalismus und Rassismus hervorrufen und Kriege wieder öfters ausbrechen.

Der 1. Mai ist für uns SozialistInnen noch immer ein internationaler Tag des Eintretens für Frieden, Integration, Daseinssicherung und eine weltweit geschwisterliche Gesellschaft und demgemäß ein Tag des Widerstands gegen Ausbeutung und Unterdrückung, Ausgrenzung, Entsolidarisierung und Krieg.